Formt unser Erbgut unsere Identität? Lange Zeit glaubte man, dass die Gene der entscheidende Faktor in der Entwicklung eines Menschen seien. Doch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse auf dem Gebiet der Epipgenetik haben gezeigt, dass die jeweilige Ausprägung der Gene durch äußere Umstände beeinflusst wird und sogar gezielt gesteuert werden kann.
Wissenschaftler waren lange Zeit der Ansicht: Nur die Erbanlagen entscheiden über unsere biologische Entwicklung. Heute bahnt sich ein Umdenken an, denn nicht allein die DNA ist für die Entwicklung eines Menschen maßgeblich. Was formt neben den Genen unsere Identität und womöglich sogar unser Erbgut von außen? Nach der Entschlüsselung des Humangenoms widmete sich die Wissenschaft der Epigenetik verstärkt der Frage, was unsere Genaktivität beeinflusst.
In Australien befasst sich die Forschung dazu exemplarisch mit der Genetik der Honigbiene. Warum entscheidet allein die Gabe von Gelée royale darüber, ob sich aus einer Bienenlarve eine Arbeiterin oder eine Königin entwickelt? Warum leidet bei eineiigen Zwillingen einer an einer chronischen Krankheit, während sich der andere bester Gesundheit erfreut? Epigenetiker können diese Fragen beantworten.
Es gibt einen gewissen Gen-Determinismus, aber eben keinen hundertprozentigen. Den Ergebnissen verschiedener wissenschaftlicher Studien zufolge können Umweltfaktoren wie Ernährung, Stress oder Pestizide die Genexpression entscheidend beeinflussen; das heißt, diese äußeren Einflüsse entscheiden darüber, welche Gene letztendlich im Laufe eines Lebens aktiviert werden.
Die Epigenetik untersucht, ob bestimmte Krankheiten oder Symptome auch an die nächste Generation weitergegeben werden können. Eine Studie von Anne Ferguson-Smith aus Cambridge beispielsweise widmet sich Kindern, deren Mütter im Winter 1944 eine Zeit schlimmen Hungers überstehen mussten, als sie schwanger waren. Die Untersuchungen zur Frage, inwieweit Nahrungsunterversorgung die DNA prägen kann, haben ergeben, dass die Kinder im Erwachsenenalter verstärkt an Krankheiten wie Diabetes und Übergewicht litten, dazu an neurologischen Störungen wie Angstzuständen, Depressionen und Schizophrenie. Die Epigenetik erweitert damit Studien zur Genetik, doch die Forschungen über die Auswirkungen der Umwelt auf unsere Gene stehen noch ganz am Anfang.