Deutsche Städte tun sich schwer mit der Notaufnahme von Flüchtlingen. Da die Menschen in Not ein Dach über dem Kopf brauchen, insbesondere jetzt im Winter, haben sich viele Kommunen und Bundesländer dazu durchgerungen, Containersiedlungen zu errichten. Wie reagieren die Nachbarn? Das Euronews Reporter-Team hat sich in Hamburg umgesehen.
In Syrien bringt das kleine Kamel die Weihnachtsgeschenke. So will es die Tradition. Das kleine Kamel sieht gut aus: etwas schwankend tappt es fast in Lebensgröße durch die mit Kindern und Eltern voll besetzte Schulaula, die Kinder unter den Stoffhöckern versuchen, Ihren Schaukelschritt den Takten des Schulorchesters anzupassen, eine spannende Melodie – irgendwo zwischen Abendland und Morgenland angesiedelt – webt sich durch Lebkuchengewürzduft und leuchtende Kinderblicke. Doch wir sind nicht in Syrien, wir sind mitten im Herzen Hamburgs.
Für die Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern haben die Kinder der Elbinsel-Schule eine ganz besondere Weihnachtsfeier organisiert: eine musikalische Weltreise von Deutschland über Russland, die Türkei und Amerika bis nach Syrien.
“Tor zur Welt” nennt sich das an die Elbinselschule angegliederte Bildungszentrum. Eltern, Kinder und Lehrer nehmen den Namen ernst: sie sind rübergegangen zum Flüchtlingsheim und haben die Neuankömmlinge eingeladen: zuerst zum Kochen in der Schulküche, dann zum Basteln für das Lichterfest – und jetzt zum weihnachtlichen Feiern.
Für die Kinder der Flüchtlinge, viele von ihnen sind erst seit wenigen Tagen oder Wochen in Deutschland, ist es ein erster Kontakt mit ihren künftigen Spielkameraden. Die kleinen Mädchen und Jungs aus Somalia, Serbien, Syrien sprechen kaum oder gar kein Deutsch, wie soll das am ersten Januar klappen mit der Einschulung? Wir fragen Sigrid Skwirblies. Die Lehrerin mit dem offenen Lachen hat zusammen mit ihren Kollegen bereits ein Konzept ausgearbeitet: “Musik ist die universelle Sprache der Menschen”, meint Skwirblies. “Musik ist ja ein Schwerpunkt an unserer Schule, verbindet die Menschen, Kulturen, Religionen. Musik verknüpft Menschen. Und wenn wir an unserer Schule demnächst anfangen mit den ersten Vorbereitungsklassen für Flüchtlingskinder, werden wir direkt mit einem grossen Musikprojekt starten.” Einen Sponsor für die Musikinstrumente habe man bereits gefunden. Dann strahlt ein freundliches Lächeln über das Gesicht der Lehrerin: “Erster Unterrichtsschwerpunkt: Ihr seid willkommen!”
Während die Hamburger Kinder feiern, wird in Dresden demonstriert.Rechtspopulisten mischen sich mit besorgten Normalbürgern. Demonstriert wird mittlerweile im Wochentakt, seit Oktober, immer wieder montags: gegen Missbrauch des Asylrechts, gegen eine “Islamisierung des Abendlandes”. In Dresden leben allerdings kaum Muslime. Doch die Parolen ziehen: Innerhalb weniger Wochen stieg die Zahl der Demonstranten von wenigen hundert auf 15.000. – Auch die Gegendemonstranten, die für mehr Solidarität mit Notsuchenden eintreten, zählen in Dresden Tausende von Teilnehmern. Die Stadt ist gespalten in Menschen “dafür” und “dagegen”.
Anderswo wird ebenfalls demonstriert, wenn auch mit etwas weniger Beteiligung, in Berlin beispielsweise, in Marzahn/Hellersdorf, gegen den geplanten Bau einer Container-Notaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. Hier ist zu hören: Warum werden die Notaufnahmelager immer nur in den ärmeren Stadtteilen errichtet? Warum nicht auch in den wohlhabenderen Vierteln? Holt man sich nicht Konflikte von außerhalb nach Deutschland?
Heiko Habbe ist Rechtsbeistand beim deutschen Jesuitenflüchtlingsdienst. Er berät Flüchtlinge – und die Bundesregierung. Als wir ihn das erste Mal anrufen, ist er gerade im Bundeskanzleramt. Auch dort beobachtet man die zunehmenden Nachbarschaftsproteste gegen Asylbewerberheime mit Sorge.
Heiko Habbe nimmt kein Blatt vor den Mund: “Wir stehen nicht vor dem Kollaps”, sagt der Mann mit der sanften, beruhigenden Stimme. Im Gegenteil: wir können als wirtschaftlich starke Nation sehr wohl Flüchtlinge aufnehmen. Die Nachbarstaaten Syriens haben im Zuge der letzten drei Jahre Millionen von Menschen aufgenommen. Wenn zum Beispiel nach Deutschland in diesem Jahr gerade einmal 200.000 Asylbewerber kommen, dann gehen die Menschen hier auf die Strasse um für weniger Flüchtlinge zu protestieren. Das ist eine Schande.”
Die deutsche Gesellschaft insgesamt scheint gespalten: Einerseits schwappt eine Welle der Hilfsbereitschaft durch viele Städte, unzählige Deutsche spenden für die Neuankömmlinge in Not, opfern ihre Freizeit, leisten als Ehrenamtliche unentgeltliche Hilfsdienste, um den Flüchtlingen zu ermöglichen, etwas leichter Fuß zu fassen in Deutschland, ihnen einen Pfad durch den Behördendschungel zu schlagen oder mit traumatisierten Kindern aus Kriegsgebieten zu spielen. Andererseits nehmen auch die Proteste zu, einige von ihnen werden unterwandert von Rechtsradikalen.
Zurück nach Hamburg: Seit Herbst kommen jeden Monat fast tausend Flüchtlinge hier an. Ü